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Bring dein Kind mit zur Arbeit: Das hätte sich ein Oberarzt genauer überlegen sollen, als er seinen 16-jährigen Sohn zu einer Operation mitnahm und ihn “assistieren” ließ. Der Arbeitgeber sah darin eine schwerwiegende Pflichtverletzung und kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich. Das Arbeitsgericht entschied im Sinne des Arbeitgebers: Eine vorherige Abmahnung war in diesem Fall nicht erforderlich – die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung ist wirksam.
Der Oberarzt war seit 2011 in einer Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie tätig. Während der Operation einer Patientin unter Vollnarkose ließ er seinen Teenager-Sohn “Haken halten” – eine medizinisch relevante Tätigkeit, bei der der Operationsbereich offengehalten wird. Später bot er dem Filius an, selbst Hand an das Wundverschlusssystem zu legen, was dieser zunächst ablehnte. Dennoch führte der Junge auf Aufforderung des anwesenden Facharztes einige Tackervorgänge aus.
Der Oberarzt wehrte sich mit dem Argument, dass der Chefarzt sowie ein Kollege von der Mitnahme seines Sohnes in den Operationssaal informiert gewesen seien und keine Einwände erhoben hätten. Außerdem führte er an, dass eine Abmahnung ausgereicht hätte, da ähnliche Vorfälle in der Klinik schon zuvor toleriert worden seien.
Wie unter anderem der Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte (VDAA) über den Fall berichtet, habe der Oberarzt durch sein Verhalten erhebliche Pflichtverletzungen begangen, die eine Abmahnung entbehrlich machte:
1. Verletzung der Aufklärungspflicht: Der Oberarzt habe es versäumt, die Patientin über die Anwesenheit seines Sohnes im Operationssaal zu informieren und deren Einverständnis einzuholen. Dies sei ein gravierender Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht und die Würde der Patientin.
2. Hygienische Risiken: Auch wenn die Hygienevorschriften möglicherweise eingehalten wurden, erhöhe jede zusätzliche Person im Operationssaal das Risiko einer Keimübertragung. Dieses Risiko sei vom Arzt bewusst in Kauf genommen worden.
3. Fehlende Qualifikation des Sohnes: Der Sohn habe weder eine medizinische Ausbildung noch Vorerfahrung gehabt, wodurch die Gefahr von Fehlern und Verzögerungen während der Operation latent bestanden habe.
4. Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht: Durch die Anwesenheit des Sohnes wurde die ärztliche Schweigepflicht verletzt, da er Einblick in sensible medizinische Daten und persönliche Informationen der Patientin erhielt.
5. Missachtung der Intimsphäre: Besonders schwerwiegend sei, dass es sich um eine weibliche Patientin unter Vollnarkose handelte. Dies zeige mangelndes Verantwortungsbewusstsein und Sensibilität seitens des Arztes.
Das Gericht entschied, dass das Verhalten des Oberarztes eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung darstellte, dass eine Abmahnung nicht erforderlich war. Selbst wenn der Chefarzt von der Mitnahme des Sohnes wusste, ändere dies nichts an der Schwere des Vergehens.
Übrigens: So einzigartig ist dieser Vorfall nicht. So berichtete im Sommer 2024 unter anderem „Die Krone“ in Österreich, dass eine Chirurgin am Granzer Universitätsklinikum ihre 13-jährige Tochter ebenfalls „Hand anlegen“ ließ. Gegen die Ärztin und weitere an der OP beteiligte Mitarbeiter wurde anonym Anzeige erstattet.
Arbeitsgericht Paderborn
Urteil vom 20. August 2024 – 3 Ca 339/24