Fotomontage: SRAe

Das Mitglied einer Industrie- und Handelskammer (IHK) kann den Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK e.V.) verlangen, wenn dieser mehrfach und nicht nur in atypischen Ausreißerfällen die gesetzlichen Kompetenzgrenzen der Kammern überschritten hat und keine hinreichenden Vorkehrungen bestehen, um die Wiederholung von Kompetenzverstößen zuverlässig zu verhindern. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.

Geklagt hatte ein Windkraft-Unternehmer aus Münster. Er ist Mitglied der IHK Nord Westfalen. Er beanstandet seit 2007 zahlreiche Äußerungen des DIHK, weil sie über die gesetzlichen Kompetenzgrenzen der Kammern hinausgingen – insbesondere durch allgemeinpolitische Äußerungen.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte bereits in einem ersten Revisionsurteil vom 23. März 2016 (BVerwG, 10 C 4.15) entschieden, dass ein grundrechtlicher Anspruch auf Austritt der Kammer aus dem Dachverband besteht, wenn dieser in der Vergangenheit mehrfach und nicht nur in atypischen Ausreißerfällen gegen die Kompetenzgrenzen seiner Mitgliedskammern verstoßen hat und wenn mit einer erneuten Missachtung der Kompetenzgrenzen zu rechnen ist. Es wies damals den Rechtsstreit an das Oberverwaltungsgericht zurück, damit dieses die erforderlichen Feststellungen zu den Reaktionen des Verbands auf die Kritik an seinen Äußerungen, insbesondere zu einem etwa für die Kammermitglieder verfügbaren verbandsinternen wirksamen und effektiven Schutz gegen grundrechtswidrige Aufgabenüberschreitungen, treffen konnte.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) selbst hat einen Austrittsanspruch des Klägers – wie schon zuvor – erneut verneint. Zwar hätten zahlreiche Äußerungen des DIHK seit 2016 die Kompetenzgrenzen seiner Mitgliedskammern überschritten. Auch fehle dem Verband die Einsicht in vergangene Aufgabenüberschreitungen und ein ausreichendes Bewusstsein für die vom Bundesverwaltungsgericht verdeutlichten Grenzen seiner Öffentlichkeitsarbeit. Er habe den Kammermitgliedern in seiner Satzung mittlerweile jedoch einen klagefähigen Anspruch auf Unterlassung weiterer Überschreitungen eingeräumt. Dies rechtfertige trotz des Mangels an Einsicht die Annahme, dass zukünftig weitere Verstöße verhindert werden könnten.

Auf die erneute Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht die beklagte IHK Nord Westfalen verurteilt, ihren Austritt aus dem DIHK zu erklären.

Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, schon die Existenz des Klageanspruchs von Kammermitgliedern schließe die Gefahr der Wiederholung von Kompetenzüberschreitungen ungeachtet fehlender Einsicht des Dachverbands aus, widerspricht dem rechtlichen Maßstab des ersten Revisionsurteils. Das OVG hat nicht angenommen, die Klagemöglichkeit werde künftige Kompetenzüberschreitungen ausschließen. Es ist lediglich davon ausgegangen, dass die Zivilgerichte dem DIHK ausgehend von (weiteren) konkreten Aufgabenüberschreitungen seine Kompetenzgrenzen weiter verdeutlichen und diese durchsetzen werden. Das wird den im ersten Revisionsurteil erläuterten Anforderungen an einen effektiven Grundrechtsschutz der Kammermitglieder nicht gerecht.

Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19