Foto: pixabay.com

Wer an einem stehenden Linienbus vorbeifährt, sollte besonders vorsichtig sein. Das gilt auch bei Müllfahrzeugen, wie ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) gezeigt hat.

Die betroffene Pkw-Fahrerin, die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes, fuhr mit ihrem Dienstwagen aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllwagen vorbei, der bei laufender Schüttung mit eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des Pkws mit einem Müllcontainer, den ein Müllwerker hinter dem Müllwagen quer über die Straße schob.

Der Pflegedienst als Eigentümer des Fahrzeugs sah sich hier als Unfallopfer und verlangte mit seiner Klage die Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten von dem kommunalen Zweckverband, der für die Abfallwirtschaft zuständig ist. Das zuständige Landgericht Hannover hatte der Klage unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle änderte das Urteil zu einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) ab. Es erkannte hier bei der Pkw-Fahrerin zumindest keinen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO). Der Bundesgerichtshof wiederum hob das Urteil wieder auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Der klagende Pflegedienst steht gegen den Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch zu, da sein Fahrzeug bei dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt wurde. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen, so der BGH. Somit ist dem Müllwerker ein schuldhafter Verstoß gegen die § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug des Klägers zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.

Allerdings ist auch der Pkw-Fahrerin ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung vorzuwerfen: Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, das heißt in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllwagen vorbeifährt, der erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss nach Ansicht des BGH damit rechnen, dass die Arbeiter plötzlich vor oder hinter ihrem Fahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese typischerweise mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren haben sich andere Verkehrsteilnehmer einzurichten.

Lässt sich ein ausreichender Seitenabstand zum Müllabfuhrfahrzeug, durch den die Gefährdung eines plötzlich hervortretenden Müllwerkers vermieden werden kann, nicht einhalten, so ist deshalb die Geschwindigkeit so weit zu drosseln, dass der Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann. In diesem Fall sei ein Seitenabstand von maximal 50 Zentimeter zum Müllabfuhrfahrzeug die Ausgangsgeschwindigkeit des Pkw von 13 km/h zu hoch gewesen, um ihn notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.

Bundesgerichtshof
Urteil vom 12. Dezember 2023 – VI ZR 77/23