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Ärzte dürfen nicht wie andere Unternehmen oder Selbstständige Werbung für sich machen. Der Bundesgerichtshof hatte jetzt zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen für ärztliche Fernbehandlungen geworben werden darf. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hatte gegen einen Anbieter geklagt, der für Fernbehandlungen per App warb.

Auf dessen Internetseite wurde mit der Aussage “Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App” für die von einer privaten Krankenversicherung angebotene Leistung eines “digitalen Arztbesuchs” mittels einer App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten geworben. Die Wettbewerbshüter sahen in dieser Werbung einen Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG).

Das Landgericht München hat der Klage stattgegeben. Im Laufe des Berufungsverfahrens wurde § 9 HWG mit Wirkung zum 19. Dezember 2019 durch einen Satz 2 ergänzt. Danach gilt das nun in Satz 1 geregelte Werbeverbot für Fernbehandlungen nicht, wenn für die Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Das Oberlandesgericht wies die Berufung dennoch zurück. Auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hatte die Beklagte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG in seiner alten und in seiner neuen Fassung verstößt. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine – dem Gesundheitsschutz dienende – Marktverhaltensregelung im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) handelt, ist der Anbieter nach § 3a und § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG zur Unterlassung der Werbung verpflichtet.

Die Beklagte hat unter Verstoß gegen § 9 HWG in seiner alten Fassung für die Erkennung und Behandlung von Krankheiten geworben, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht. Eine eigene Wahrnehmung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch – etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Ultraschall – untersuchen kann. Das erfordert die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und ist im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich.

Nach § 9 Satz 2 HWG in seiner neuen Fassung ist das in Satz 1 geregelte Verbot zwar nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen. Zu diesen Kommunikationsmedien gehören auch Apps. Das gilt aber nur, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.

Bei den allgemein anerkannten fachlichen Standards kommt es nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards ist vielmehr unter Berücksichtigung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 630a Abs. 2 BGB), wo die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag geregelt sind, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach können sich solche Standards erst im Laufe der Zeit entwickeln und etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergeben.

Das Gericht konnte nicht feststellen, dass eine solche umfassende Fernbehandlung per App den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspricht. Der beklagte Anbieter hatte dies auch nicht behauptet und ließ auch keinen weiteren Sachvortrag zu erwarten, sodass der BGH die beanstandete Werbung für unzulässig erklärte.

Bundesgerichtshof
Urteil vom 9. Dezember 2021 – I ZR 146/20