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Schaffen wegeunfähige Versicherte ihren Pkw ab, haben sie Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil allein auf die tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel und Beförderungsmöglichkeiten abgestellt werden darf. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen entschieden.
Zur Erklärung: Ein Versicherter hat unter anderem Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI), wenn er nicht mehr wegefähig ist. Dies setzt voraus, dass er nicht viermal am Tag Wegstrecken von über 500 Meter innerhalb von 20 Minuten zu Fuß bewältigen und ferner zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann.
Im hier vorliegenden Verfahren begehrte die wegeunfähige Klägerin von dem beklagten Rentenversicherungsträger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie verfügte über eine Fahrerlaubnis und einen Pkw, den sie während des späteren Klageverfahrens abschaffte. Vor dem Sozialgericht Köln und dem Landessozialgericht bekam sie Recht.
Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität sei Teil des versicherten Risikos, so die Richter. Es habe sich infolge der gesundheitlichen (Geh-)Einschränkungen in dem Zeitpunkt verwirklicht, in dem die Klägerin diese nicht mehr durch den jederzeitigen, tatsächlichen Zugriff auf einen ihr zur Verfügung stehenden Pkw zumutbar habe beseitigen können. Es komme nicht darauf an, ob die Abschaffung auf einer (subjektiv empfundenen) Fahrunsicherheit, technischen Umständen (beispielsweise Ablauf des TÜVs) oder wirtschaftlichen Erwägungen beruhe. Ein Ausschluss des Anspruchs lasse sich nicht begründen. Die Klägerin habe ihre Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht vorsätzlich herbeigeführt. Ein Versagen des Rentenanspruchs ließe sich nur dann rechtfertigen, wenn die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt wurde (§ 103 SGB VI). Es bestehe für die Klägerin – mangels Rechtsgrundlage – auch keine Obliegenheit, den Pkw zu behalten, um das versicherte Risiko nicht eintreten zu lassen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Landessozialgericht NRW
Urteil vom 8. Oktober 2021 – L 4 R 1015/20