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Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren. Allerdings beginnt diese erst am Ende des Kalenderjahrs, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das hat des Bundesarbeitsgericht jetzt entschieden. Vorangegangen war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof vom 22. September 2022 (Az. C-120/21), der beim Arbeitgeber die Pflicht sieht, seine Mitarbeiter darauf aufmerksam zu machen, den Jahresurlaub rechtzeitig zu nehmen, und auf den drohenden Verfall hinzuweisen.

Hintergrund ist die Klage einer Steuerfachangestellten und Bilanzbuchhalterin gewesen. Die Frau hatte über mehrere Jahre Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen nicht genommen. Nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses forderte sie die finanzielle Abgeltung ein. Ihr Arbeitgeber zahlte allerdings nur rund 3200 Euro brutto für die Abgeltung von 14 Urlaubstagen. Der übrige Anspruch sei verjährt, so die Argumentation.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf erachtete den Einwand des beklagten Arbeitgebers für nicht durchgreifend. Die Revision des Arbeitgebers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Zwar finden die Vorschriften über die Verjährung (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB) auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahrs, sondern erst mit dem Schluss des Jahrs, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Der Senat hat damit die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) umgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs tritt der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.

Im Falle der Steuerfachangestellten und Bilanzbuchhalterin hatte der Arbeitgeber die Klägerin nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahrs oder eines zulässigen Übertragungszeitraums noch konnte der Arbeitgeber mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs hat die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20

 

In einem ähnlich gelagerten Fall hat das Bundesarbeitsgericht (Az. 9 AZR 245/19) parallel entschieden, dass der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen.