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Auch ein Zelt auf einem Campingplatz kann eine Unterkunft im Sinne des SGB II darstellen. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen im Falle eines Mannes entschieden, der mehrere Monate auf einem Campingplatz lebte.

Der Kläger bezog während eines Klinikaufenthalts Arbeitslosengeld II in Höhe des Regelbedarfs. Nach seiner Entlassung mietete er unter anderem von Juni bis September 2019 auf einem Campingplatz einen Zeltplatz an und wohnte darauf in einem Zelt. Die Rechnungen für die Zeltplatzmiete über insgesamt 1100 Euro erhielt der Kläger im August und September. Das beklagte Jobcenter lehnte die Übernahme der Kosten ab. Es handele sich nicht um Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II, da Zelte keine Unterkunft darstellten.

Das Sozialgericht Köln gab der Klage statt und verurteilte das Jobcenter  zur Übernahme der für die Monate Juni bis September jeweils berechneten Miete. Auf die Berufung der Behörde und die Anschlussberufung des Klägers hat das LSG das Urteil insoweit geändert, dass das Jobcenter die Kosten für die Monate August und September 2019 übernimmt, da der Bedarf des Klägers aufgrund der Rechnungstellung nur in diesen Monaten bestanden habe.

Hierzu führte das LSG aus: Entscheidend sei, dass eine bauliche Anlage nach den konkreten Umständen des Einzelfalls die beiden Grundvoraussetzungen Witterungsschutz und “gewisse Privatsphäre” (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) erfülle. Diese Voraussetzungen dürften zur Gewährleistung des Grundrechts auf eine menschenwürdige Existenz und aus sozialstaatlichen Erwägungen nicht überspannt werden, da andernfalls die Qualität des Obdachs in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit stünde, hierfür Grundsicherungsleistungen zu erhalten: Je niedriger der Standard des “Dachs über dem Kopf”, desto wahrscheinlicher würde ihm der Charakter einer Unterkunft abgesprochen. Hierdurch würden aber gerade Menschen benachteiligt, die aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen kein qualitativ besseres Obdach erlangen könnten. Die Aufstellung eines Zelts auf einem umzäunten, bauordnungsrechtlich zugelassenen Campingplatz, verbunden mit der Möglichkeit der Nutzung von Sanitäranlagen und Stromanschlüssen, für einen vorübergehenden Zeitraum erfülle beide Mindestvoraussetzungen.

Landessozialgericht NRW
Urteil vom 10. Februar 2022 – L 19 AS 1201/21